Abzug statt Umzug – Gastkommentar Junge Welt

Der Umzug der Bundeswehr vom Luftwaffenstützpunkt im türkischen Incirlik ins jordanische Al-Asrak ist fast abgeschlossen. In der ersten Oktoberwoche sollen voraussichtlich dann auch die vier Aufklärungstornados endgültig ihren Standort wechseln und von Jordanien aus im Rahmen des Anti-IS Einsatzes agieren. Das der Abzug aus Incirlik unumgänglich und längst überfällig war, steht außer Frage. Erdogan hat die Bundesregierung in der Vergangenheit wiederholt vorgeführt, hat eskaliert und die Türkei weiter in Richtung autokratische Herrschaft entwickelt. Die Bundesregierung hat sich die Bedingungen, unter denen Bundestagsabgeordnete deutsche Soldatinnen und Soldaten in der Türkei besuchen dürfen, von Erdogan diktieren lassen. Damit ist nun Schluss ist – zumindest was Incirlik betrifft, nicht jedoch, was Konya betrifft. In Konya sind deutsche Soldaten im Rahmen des AWACS-Einsatzes. Mit dem Umzug auf den Stützpunkt Al-Asrak in Jordanien wird allerdings nur ein Übel gegen ein anderes ausgetauscht. Jordanien weigert sich bis zum heutigen Tag, ein Abkommen mit der Bundesregierung zu unterzeichnen, welches den dort stationierten Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr Immunität vor Strafverfolgung vor Ort zusichert. In Jordanien gibt es die Todesstrafe und in einigen Rechtsbereichen gilt die Scharia. Diese Rechtsprechung würde auch Anwendung bei Angehörigen der Bundeswehr finden. Die Bundesregierung weiß seit Wochen von diesem Problem, treibt den Umzug aber trotzdem weiter voran. Sie schlittert mit ihrer Beteiligung am Anti-IS Einsatz von einer diplomatischen Krise in die nächste. Und alles nur, weil sie auf Teufel komm raus an diesem politisch falschen und völker- und verfassungsrechtswidrigen Einsatz festhalten will. Konsequent wäre es gewesen, die deutsche Beteiligung am Anti-IS Einsatz endlich zu beenden und die Soldatinnen und Soldaten unverzüglich nach Deutschland zurück zu holen. Die Bundeswehr hätte dort nie stationiert werden dürfen. Zumal es im Mandat heißt, dass die Bundesregierung die aus den Aufklärungsflügen gewonnenen Daten „mit weiteren Akteuren der internationalen Allianz gegen IS austauschen und abgleichen“ will. Zugriff auf die Aufklärungsdaten hat auch die Türkei. Ob Aufklärungsdaten auch kurdische Kräfte betreffen, kann zumindest nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
Nach dem Fall von Mossul und dem bevorstehenden Fall von Rakka wird der Anti-IS Einsatz wahrscheinlich Ende des Jahres oder Anfang 2018 ohnehin obsolet sein. Es besteht daher gar keine Notwendigkeit mehr, die Bundeswehr in der Region zu stationieren – weder in Jordanien oder der Türkei noch in anderen angrenzenden Staaten. Es sei denn, Deutschland und seine Verbündeten verfolgen noch ganz andere Ziele.
Seit heute ist bekannt, dass die Bundesregierung den im Dezember auslaufenden Anti-IS Einsatz provisorisch verlängern will, bis die neue Regierung im Amt ist. Ob der Bundestag dabei übergangen werden soll, ist noch nicht klar. Aber ohne die Entscheidung des Bundestages würde es sich um eine absolut parlamentsfeindliche und rechtswidrige Entscheidung der Bundesregierung handeln. Der Bundestag ist ab seiner konstituierenden Sitzung am 23. Oktober wieder beschlussfähig und muss über eine Verlängerung von Mandaten entscheiden. Die Bundeswehr ist immerhin eine Parlamentsarmee. Es ist nicht auszuschließen, dass die Bundesregierung die jetzige Umbruchsituation nutzen will, um das Parlamentsbeteiligungsgesetz zu schleifen. Mit der LINKEN wird das nicht zu machen sein.
Dr. Alexander S. Neu