Propaganda für die NATO

Montenegro will festes Mitglied des Militärbündnisses sein. Die Bevölkerung soll zu diesem wichtigen Thema nicht befragt werden
Schon im Mai soll es soweit sein: Dann wird Montenegro voraussichtlich das 29. Mitglied der NATO. Dabei war der Weg für die ehemalige jugoslawische Republik erst im Mai vergangenen Jahres frei geworden, als die anderen Mitgliedsstaaten das Beitrittsprotokoll bei einem Außenministertreffen in Brüssel ratifizierten. Die nationalen Parlamente müssen dem nun noch zustimmen. Von 24 Staaten liegt dieses positive Votum bis jetzt vor. Und Montenegro drückt aufs Gas: Die Regierung unter Premierminister Dusko Markovic will nicht mal die eigene Bevölkerung befragen. Dabei sind 84 Prozent der Montenegriner dafür, ein Referendum über die Frage des NATO-Beitritts abzuhalten – ungeachtet ihrer Präferenz in der Frage. Darüber informierte die Initiative »Refairendum Caravan«, eine oppositionelle Gruppe, die in den vergangenen beiden Wochen in neun europäischen Ländern über die ablehnende Haltung großer Teile der Bevölkerung zum NATO-Beitritt berichtete. Am Montag war sie auf Einladung der Bundestagsabgeordneten Inge Höger und Alexander S. Neu (beide Die Linke) in Berlin.
»In Montenegro kann man regelrecht von einer Blockade der Medien reden, wenn es darum geht, kritische Stimmen zum NATO-Beitritt zu Wort kommen zu lassen«, schilderte Marko Milacic, der Gründer der »Bewegung für Neutralität«, die Situation in seinem Land. Kritiker des Regierungskurses würden sofort mundtot gemacht, indem sie etwa als »Spione Russlands« bezeichnet würden. Dabei setzt sich die Gruppe auch nicht für eine Annäherung an andere Partner in militärischen Fragen ein, sondern möchte ganz im Gegenteil am Status quo, also der festgeschriebenen Neutralität, festhalten.
Denn dieser bedeute auch, dass der Militäretat des Landes, in dem gut 600.000 Menschen leben, auf einem relativ geringen Level bleibe. Bei einem NATO-Beitritt würden die anderen Mitgliedstaaten bald Begehrlichkeiten in Richtung des kleinen Landes formulieren, ist sich Milacic sicher. Insofern kämpfe die Gruppe natürlich einerseits gegen die Vereinnahmung durch das Militärbündnis – im ersten Schritt gehe es aber um eine Demokratisierung Montenegros, was mindestens ebenso wichtig sei. »Es ist eine Kernfrage der Demokratie, das Volk zu befragen. Wenn wir uns also in diesem Punkt für ein Referendum einsetzen, verteidigen wir – im Gegensatz zu unserer Regierung – europäische Werte.«
»Die Regierung möchte die alleinige Deutungshoheit über den Prozess in der Hand behalten«, erläuterte der Jurist Bosko Carmak. Denn sie wolle sich generell unangreifbar machen. Das betreffe nicht nur den Bereich NATO, sondern auch zahlreiche andere. So gebe es in dem Land mehr als 100 unaufgeklärte Morde mit politischem Hintergrund. Es gehe nicht nur um Ideologie, sondern knallhart um die Macht. Viele aktive Politiker sicherten schlicht ihre eigenen finanziellen Interessen ab.
Die Verfassung des Landes sieht vor, dass Entscheidungen größerer Tragweite entweder vom Parlament oder per Volksabstimmung entschieden werden. Allerdings gibt es keine Möglichkeit, ein Referendum durchzusetzen, wenn die Regierung sich dagegenstellt. So sammelt die Initiative derzeit zwar Unterschriften, um das Kabinett unter Druck zu setzen. Das bewegt sich allerdings nur auf einer symbolischen Ebene.
Um so wichtiger ist den Aktivisten deshalb die Vernetzung mit NATO-Gegnern in anderen Ländern, besonders in solchen, die bereits Mitglied des Militärbündnisses sind. Dabei sei feststellbar, dass die Argumente sich in allen Ländern gleichen. Dies kann auch der Bundestagsabgeordnete Alexander S.Neu bestätigen: »Uns alle eint die Wahrnehmung, dass die NATO ein Aggressionsbündnis ist.« Hinzu kämen in Staaten wie Montenegro Erinnerungen, weil sie 1999 selbst schon mal Ziel der NATO waren: »Das sind Erfahrungswerte, die die Menschen dort haben, die wir in Deutschland erst mal nachvollziehen müssen.« Außerdem gebe es Vorbehalte, weil das Land sehr klein sei: »Hier wird eine Militärmaschinerie für den westlichen Imperialismus aufgebaut, ohne dass Staaten wie Montenegro darin wirklich etwas zu sagen haben. Dadurch hätte die NATO in der Adria von Italien bis Griechenland wirklich alles unter Kontrolle.« Deswegen werde auch so dermaßen viel Druck von seiten der US- oder auch der deutschen Bundesregierung auf Montenegro ausgeübt.
Perspektivisch dürfte der Druck aber noch zunehmen, wenn das Land den Beitritt vollzogen haben wird. »Das Militärbudget beträgt momentan etwa 25 Millionen Euro«, so Carmak. Dafür könne man noch nicht einmal einen halben Panzer kaufen. »Wir können der NATO also doch eigentlich nichts bieten. Außerdem sind wir keine Bedrohung für irgend jemanden in der Region, noch bedroht uns irgendwer. Es besteht also gar keine Notwendigkeit, uns einzubinden.« Deswegen ist für Milacic klar, dass die NATO Montenegro nur als Faustpfand für ihre geopolitischen und geostrategischen Interessen einsetzen will. »So haben sie es mit kleinen Ländern immer getan.« Insofern sei es zumindest ehrlich, wenn im US-Senat gesagt werde, die Aufnahme Montenegros in die NATO sei wichtig, um Russland zu bekämpfen. »Aber im gleichen Atemzug belügt uns unsere eigene Regierung und behauptet, es gehe um Werte«, so Milacic. »Das ist doch alles nur Propaganda.«
– Quelle: https://www.jungewelt.de/2017/03-03/012.php