(Anti-NATO)- Reise nach Montenegro

(Anti-NATO)- Reise nach Montenegro
16.-19.Juni 2016
Vorbemerkung: Der Reisebericht ähnelt bisweilen dem Telegrammstil. Äußerungen unserer Gesprächspartner wurden wörtlich mitgeschrieben. Daraus resultiert der teilweise fehlende logische Aufbau des Textes
Tag 1 – 16.06.2016
Treffen mit Mitgliedern des Verteidigungsausschusses
Gesprächspartner: Snezana Jonica (SNP) und Luidj Skrelja (DPS)
Zum Zeitpunkt unseres Aufenthaltes fand gerade eine zweitägige Debatte über den NATO-Beitritt Montenegros im Parlament statt. Jonica (SNP – Opposition): NATO-Beitritt sei ein Elitenprojekt. Opposition und Teile der Bevölkerung seien dagegen. 2/3 im Parlament seien für und 2/3 der Bevölkerung gegen NATO-Beitritt. Die Partei -SNP – wolle daher einen Volksentscheid. Zurzeit werden Unterschriften für einen Volksentscheid gesammelt. Es gibt
bereits 80.000 Unterschriften. SNP wolle eine Deklaration für einen Volksentscheid im Parlament.
Skrelja: (Vertreter der Regierungspartei DPS):
Die DPS sei für EU- und NATO-Beitritt.
NATO-Krieg 1999 auch gegen Montenegro sei kein Grund, nun mit NATO und deren Mitgliedsstaaten heute keine guten Beziehungen zu führen. Skrelja will nur Parlamentsentscheidung, nicht jedoch Volksentscheid zur NATO-Frage. Seine Partei sei
immer mit Mehrheit gewählt worden. Wahlen berechtige auch zur Abstimmung über den NATO-Beitritt im Parlament. Geld für Volksentscheid sollte eingespart werden. Außerdem würden die Menschen ohnehin nur nach Gefühl abstimmen. Parlamentarier hingegen stimmten mit Vernunft. Sicherheitspolitisch betrachtet habe Montenegro auch äußere Feinde und Montenegro habe in jeder Dekade seine Staatlichkeit verteidigen müssen.
Tag 2 – 17.06.2016
Treffen mit „Movement for Neutrality“ mit Marko Milacic und Ognjen Jovovic:
Die Bewegung engagiert sich gegen einen NATO-Beitritt des Landes. Und anders als viele andere ANTI-NATO-Gruppen setzen sie sich für Neutralität des Landes ein. Sie seien gegen einen atlantischen Weg des Landes und würden auch die Regierung kritisieren.
Als Ergebnis erleben sie, dass Druck und Repressalien (bis hin zu Festnahmen) auf die Bewegung ausgeübt wird. In Montenegro habe es seit über 25 Jahren keinen Regierungswechsel gegeben. Das Regime Djukanovic sei im Wesentlichen eine Mafia-Struktur. Dennoch sei Premier Djukanovic der ideale Partner der NATO, da er transatlantisch orientiert sei.
Kürzlich sei das NATO-Beitrittsprotokoll unterzeichnet worden. Ständig würden pro-NATO-Resolutionen im Parlament verabschiedet, um die Bevölkerung von der NATO zu überzeugen. Damit solle auch von den kriminellen Machenschaften der Regierungsmafia abgelenkt werden.
Die Bewegung habe enge Kommunikation zwischen Berlin und Montenegro dank Wikileaks aufgedeckt – Schreiben aus Berlin zw. deutschen und montenegrinischen Außenministern.
84% der Bevölkerung sei für einen Volksentscheid. Und 68% derer, die für die NATO seien, seien auch für den Volksentscheid. Ungeachtet dessen, wolle die Regierung die Entscheidung nur im Parlament herbeiführen.
Die Bewegung werde von der Regierung beschuldigt, von Russland bezahlt zu werden.
Das Problem sei, dass es im Land nur den Anschein von Demokratie gibt. Es sei ein System einer Doppelregierung: Nach außen wie eine normal gewählte Regierung, tatsächlich jedoch handele es sich um eine Oligarchenregierung. Über 50% der Menschen seien gegen die NATO-Mitgliedschaft. Demgegenüber seien rund 75% der Abgeordneten im Parlament für die NATO. Jahrelange und millionenschwere PR-Kampagnen seien von der Regierung für ein positives Image der NATO durchgeführt worden. Die NATO-Einladung selbst habe keine positiven Auswirkungen auf eine progressive Entwicklung in Montenegro. Im Gegenteil: Das Djukanovic-Regime würde sich dadurch erst recht weiter legitimiert fühlen.
Die Bewegung habe sich einen glaubhaften Ruf erarbeitet. Auch Norman Chomsky unterstütze die Bewegung für Neutralität. Eine große Zahl der Unterstützer der Bewegung kämen aus den USA. Die Bewegung habe einmal die russische Botschaft, aber mehrfach die US-Botschaft besucht. Dennoch versuche die Regierung, die Bewegung als Interessenvertreter Russlands zu dämonisieren.
Treffen mit Vertretern der „Union der Freien Gewerkschaften“:
Diese Gewerkschaft ist zehn Jahre alt. Bevor sie gegründet wurde, habe es nur eine Gewerkschaft in Montenegro gegeben. Nun gebe es zwei repräsentative Gewerkschaften. Seit 2010 gibt es ein Gesetz für die Arbeit von Gewerkschaften.
Der ökonomische Transformationsprozess der Wirtschaft im Lande schreite voran. Die Gewerkschaft kritisiere die Wirtschaftspolitik der Regierung. Privatisierungen bringen keine Vorteile für die Bürger*innen. Der Durchschnittslohn betrage unter 500 Euro/Monat. Die Zahl der Erwerbslosen liege bei ca. 20%, die Schwarzarbeiterzahl bei ca. 40.000. Demgegenüber stünden rund 170.000 offiziell Erwerbstätige. 10.000 Menschen mit Hochschulabschluss seien arbeitslos.
Ein großes Problem für das Land sei die TEX-FLAT-Steuer mit einem niedrigen Satz von 9 % für Einkommens- und Unternehmenssteuer. Dies sei der niedrigste Satz in ganz Europa.
Man habe Kontakte mit Gewerkschaften in sechs Nachfolgestaaten Jugoslawiens aufgebaut und sich locker assoziiert („Solidarnost Regionale – Regionaler Gewerkschaftsverbund aus allen sechs Republiken).
Die staatliche Verwaltung habe kein Interesse, die geringen Steuern einzutreiben. Steuern und Sozialabgaben würden nur unzureichend gezahlt. Hinzu komme: Es gebe Unternehmen, die keinerlei Steuern zahlen müssten. So zum Beispiel ein israelisches Waffenunternehmen (israel. Eigentümer). Dieser habe 1,8 Mio. Euro Profit gemacht und 2,5 Mio. Schulden an Steuern und Sozialabgaben. Der Staat ließe dies durchgehen.
Es gebe für Montenegro zwei strategische Wirtschaftszweige: Tourismus und Landwirtschaft.
Montenegro hätte Kapazitäten, Nahrungsmittel zu exportieren, tue es aber nicht. Die Gewerkschaft setzt sich für den Erhalt der Salinen ein. Aber nicht nur die Salinen seien in Gefahr, sondern es bestehe auch eine große Gefahr für die Biodiversität Montenegros durch potentielle Erdölbohrungen in der Adria sowie durch den Bau von Staudämmen.
Alle großen Industrieunternehmen seien in den letzten Jahren vernichtet worden.
Die Arbeitsgesetzgebung sei mehrfach zum Nachteil der Beschäftigten geändert worden. Nun sollen unter Druck der US-Wirtschaftskammer weitere Arbeiter*innenrechte massiv abgebaut werden. Obschon die USA nur geringfügig in Montenegro investierten, sei der US-Druck groß, die geringen Arbeiter*innenrechte weiter abzubauen, wie sie angeblich Investitionshemmnisse seien.
Die ganze Privatisierungspolitik habe die allgemeine sozio-ökonomische Situation verschlimmert. Es habe nur sehr wenige erfolgreiche Privatisierungsmaßnahmen gegeben. Meistens hätten neue Investoren nur die Unternehmen ausgeschlachtet.
Die Gewerkschaften stünden unter Druck der Unternehmer. Es sei schwierig, bisweilen unmöglich, Gewerkschaften in Betrieben zu installieren, vor allem wegen der Vorschriften in der Arbeitsgesetzgebung.
Besonders schlimm sei es bei multinationalen Unternehmen z.B. im Telekommunikationsbereich, wie bei der deutschen Telekom. Massenkündigungen von Beschäftigen konnten trotz großer Kämpfe durch die Gewerkschaft nicht verhindert werden. Mit tax flat von 9% würde das Kapital großen Profit machen, dass dann Montenegro verlasse. Und die Löhne und Gehälter würden immer mehr gedrückt.
In der Transformationsphase habe der Staat auf die falsche Weise privatisiert. Strategische Staatsunternehmen seien an internationale Investoren verkauft und dann ausgeschlachtet worden. Der Staat habe sich auch deshalb massiv verschuldet. Die öffentliche Daseinsvorsorge und das Gesundheitswesen seien seit geraumer Zeit unterfinanziert.
Das neue Arbeitsgesetz aus dem Jahr 2008 sei sehr neoliberal und das Streikrecht und gewerkschaftliche Rechte stark eingeschränkt. Machthaber Djukanovic habe zweimal die US-Wirtschaftskammer besucht. Sie hätten ihm ihre Wünsche übermittelt, und er habe versprochen, diese Wünsche umzusetzen. Die Gewerkschaften agierten gegen dieses Versprechen. Man versuche Einfluss auf das Parlament zu nehmen und außerparlamentarische Maßnahmen zu ergreifen.
Zur NATO: Die Polarisierung im Land sei sehr groß – auch in der Frage des Beitritts zur NATO.
Treffen mit Oppositionsparteien NOVO und DNP:
Der Besuch von deutschen Abgeordneten widerlege die Behauptung des Regimes, dass ganz Deutschland für die NATO sei. Diese Signalwirkung sei für Montenegro wichtig. Die Einladung zur NATO sei am 2. Dezember 2015 ausgesprochen worden. Es gab zwischenzeitlich ein paar Anti-NATO-Demonstrationen. Letzte Meinungsumfrage vom 1.Mai. 2016: 55 % gegen NATO und 45% für NATO. Aber über 60 % für ein Referendum.
Eine Beitrittsentscheidung nur durch das Parlament würde Montenegro weiter destabilisieren. Man habe mehrere große Demonstrationen gegen die NATO organisiert und wolle mit der Anti-NATO-Kampagne fortfahren.
Die US-Botschaft stehe hinter Montenegros Regierung. Die US-Regierung und die Bundesregierung hätten sogar Einfluss auf die Regierungsbildung in Montenegro. Es seien die USA gewesen, die vor kurzem für eine Regierungsumbildung und Einbindung von pro-NATO-Oppositionsparteien in eine Übergangsregierung gesorgt hätten.
Die freie Meinungsäußerung gegen die NATO sei erschwert. Das Staatsfernsehen boykottiere diese Parteien und zum Teil auch private Medien. Montenegros Sicherheit werde durch die NATO eher gefährdet als erhöht. Der IS würde auch Montenegro ins Visier nehmen. Allein aus Montenegro seien freiwillige IS-Kämpfer rekrutiert worden. Was passiert wenn sie zurückkehrten?
Montenegro sei auch Opfer der NATO-Aggression von 1999. Auch in Montenegro gebe es aufgrund der von der NATO eingesetzten DU-Munition eine erhöhte Krebsrate.
Montenegro sei von niemandem bedroht – wenn die NATO nicht Montenegro nochmals angreife, bestehe keine Gefahr für das kleine Land. Die NATO habe nie für Demokratie und wirtschaftliche Entwicklung gesorgt, sondern für weltweite Unsicherheit.
Wahlen in Montenegro seien unter Djukanovic generell nicht frei und fair. Die Wahlen würden gekauft. Wahlbetrug sei Routine. Im nächsten Parlament gebe es nur eine virtuelle Volksvertretung. Deshalb habe das Parlament kein Recht für eine so weit reichende Entscheidung, deshalb wolle man ein Referendum.
Bei diesem Referendum sei eine internationale Unterstützung/Wahlbeobachtung erforderlich, um Wahlfälschung zu verhindern.
Ziel müsse die politische und militärische Neutralität Montenegros sein, samt einer Garantieerklärung der USA, Russlands und Chinas. Andere Länder der Region würden sich wahrscheinlich einer solche Entwicklung anschließen.
Djukanovic herrsche seit über 25 Jahren in Montenegro. Djukanovic habe in der Zeit ein Netz von Einflussfaktoren aufgebaut: Druck, finanzielle Staatsressourcen, Wahlbetrug, politische Korruption (Korrumpierung von Oppositionspolitikern) seien seine Instrumente zur Aufrechterhaltung seiner Macht.
Besichtigung des REA-Lagers in Konik
Klaus Mock, der Leiter des Help-Büros begleitet uns bei der Besichtigung des Lagers. Es ist ein Container-Lager für Roma, Egyptians, Ashkali (REA), die während des Kosovo-Krieges nach Montenegro flüchteten und nicht zurück wollen. Es leben allerdings auch Romas dort, die während des Krieges nach Deutschland geflüchtet waren und dann abgeschoben wurden. Sie leben überwiegend in einem Container-Lager, einige Familien aber auch in neu gebauten Häusern.
Zurzeit werden weitere Wohnblocks für diese Menschen am Rande des Lagers gebaut.
Montenegro ist ein multiethnisches Land. Allerdings wurden wie in vielen anderen Staaten Osteuropas die Roma marginalisiert und werden dies immer noch – sowohl als Individuen als auch als Gruppe. Sie sind in bedeutendem Maße aus den wichtigen Abläufen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen. Dies ist im Prinzip auf die traditionellen Stereotypen und Vorurteile gegenüber dieser Gruppe, ihrer spezifischen Lebensweise, Kultur und Tradition zurückzuführen.
Die bisherigen Bemühungen zur Verbesserung der Lebenssituation der Roma haben noch keine grundlegenden Änderungen hervorgebracht. Die Probleme des Bettelns, des unregelmäßigen Schulbesuchs und der Diskriminierung bestehen weiterhin. Herr Mock vom Help-Büro berichtete, dass es deshalb der vorrangige Ansatz sei, den Kindern den Schulbesuch in anderen Stadtteilen zu ermöglichen. Und man hoffe auch sehr auf eine Verbesserung der Situation nach Fertigstellung der Wohnhäuser. Allerdings gäbe es immer noch viel zu tun. Lösungen hierfür können nur unter Berücksichtigung der Kultur, der Sitten und Gewohnheiten der Roma gefunden werden. Rein wirtschaftliche Lösungsansätze, die davon ausgehen, dass das Fehlen von finanziellen Mitteln der einzige Grund für ihre Armut ist, werden nicht die erwünschten Ergebnisse bringen.
Vielmehr müssen bei jeder Maßnahme und bei jedem Schritt, der unternommen wird, ihre Kultur und Bräuche berücksichtigt werden.
Nein zu NATO – Bewegung:
Gojko Raicevic, Vorsitzender der NRO „Nicht in die NATO“ war vor kurzem Gast bei der LINKEN im EP. Er äußerte große Freude, dass es in Deutschland auch Anti-NATO-Kräfte gebe. Der Staat Montenegro habe wirtschaftliche, soziale und Demokratieprobleme. Er sei nicht demokratisch, es gebe nur die äußere Form einer Demokratie, nicht den Inhalt. Wahlen entscheiden nichts, nur die Regimepartei entscheide alles. Diese werde auch der int. Gemeinschaft so unterstützt. Die Regimepartei und ihre Koalitionspartner wollen die Debatte und den Volksentscheid über den Beitritt zur NATO verhindern. Die Regierung wolle die Anforderungen der EU und der NATO erfüllen.
Bis auf Montenegro und Syrien sei der gesamte Mittelmeerraum NATO oder NATO-Einflussraum. Montenegro sei sozusagen die letzte fehlende Bastion am Mittelmeer.
Es gibt eine Alternative zur NATO, so Losung bei der LINKEN im EP:
Fraktion Europäische LINKE und Nordische Grüne waren Gastgeberin und Resolutionsträger: „There is an Alternative – No to NATO“.
Der Sprecher der Gruppe erklärt, er werde die nationalen Parlamente jedes NATO-Mitgliedsland anschreiben, um die wahren mafiösen Strukturen in Montenegro zu beschreiben. Wir könnten damit im Deutschen Bundestag arbeiten.
Tag 3 – 18.06.2016
Inge Höger und ich gaben ein Radiointerview. Abends nahmen wir in Bar an einer Podiumsdiskussion, die von der „Bewegung für Neutralität“ organisiert worden ist, teil.
Tag 4 – 19.06.2016
Rückreise nach Deutschland
Fazit in Kürze:
Wir waren überrascht über den starken Widerstandsgeist seitens der zivilgesellschaftlichen Gruppen gegen den NATO- Beitritt. Aber auch unorganisierte Bürger weisen das Ziel, ihres Regimes – der NATO beitreten zu wollen – zurück. Überall findet man die Losung “Nein zur NATO“ an Hauswänden und Mauern geschrieben. Die Oppositionsparteien, die sich gegen den NATO-Beitritt aussprechen, könnten noch etwas aktiver sein. Die Kooperation zwischen parlamentarischen und außerparlamentarischen Kräften ist noch ausbaufähig. Allerdings: Das Temperament, mit dem im montenegrinischen Parlament geredet und gestritten wird, täte auch dem Deutschen Bundestag gut.