Offener Brief an den Innenminister Jäger
Offener Brief an den Innenminister Jäger
Sehr geehrter Herr Innenminister Jäger,
als für den Rhein-Sieg-Kreis zuständiges Mitglied des Deutschen Bundestages wende ich mich im Fall des
ehemaligen Landrates Frithjof Kühn an Sie.
Ihr Ministerium ist damit beauftragt zu prüfen, ob Frithjof Kühn Vergütungen aus seinem Aufsichtsratsposten bei RWE, welche er unter Vorbehalt in die Kreiskasse eingezahlt hatte, nun, nach seinem Ausscheiden als Landrat zustehen. Hierbei handelt es sich nicht um eine kleine Summe, sondern um etwas mehr als eine halbe Million Euro.
Dazu möchte ich folgendes zu bedenken geben:
Jede und jeder in Amt undWürden stehende PolitikerIn in diesem Land ist direkt oder indirekt vom Volk gewählt und trägt damit die Verantwortung ausschließlich zum Wohle der Menschen zu agieren. Das es unterschiedliche politische Auffassungen darüber gibt, was zum Wohl der Bevölkerung beiträgt ist dabei selbstverständlich und im Namen der Demokratie auch so gewollt. Zur Verhinderung von Korruption, übermäßigem Lobbyismus und Bestechlichkeit stehen jedem Mandatsträger Aufwandsentschädigungen in meist nicht geringer Höhe zu, so auch dem ehemaligen Landrat Kühn.
Auch wenn ich es selbst nicht nachvollziehen kann, wie man seinMandat, für welches man gewählt wurde und etwaige Nebentätigkeiten, so „unter einen Hut“ bekommen kann, dass man allen Aufgaben gleichermaßen gerecht wird, so spreche ich doch keinem diese Fähigkeiten ab. Dennoch müssen meines Erachtens an dieser Stelle klare Regelungen gelten die weder den Verdacht von Korruption noch von Vorteilsnahme auch nur erahnen lassen. DIE LINKE setzt sich deshalb auch schon seit geraumer Zeit für die Verschärfung des Paragraphen 108e StGB ein. Denn es kann nicht sein, dass ein Müllmann zu Weihnachten nicht einmal 5 Euro annehmen darf, während in Aufsichtsräten unkontrolliert mit ganz anderen Summen jongliert wird.
Ich möchte dem ehemaligen Landrat Kühn in keinerWeise Korruption oder Vorteilsnahme unterstellen, dennoch ist es mir nicht verständlich, wie man den Bürgerinnen und Bürgern erklären will, dass ein gewählter Landrat nicht in seiner Funktion als Landrat, sondern als Privatperson in einem Aufsichtsrat sitzt und dafür solch immense Summen erhält.Welcher „normale Bürger“ genießt denn auch nur ansatzweise ähnliche Privilegien? Diese Argumentation wird in der Öffentlichkeit wohl kaum tragbar sein, geschweige denn auf Verständnis stoßen. Erschwerend kommt noch der Umstand hinzu, dass der Kreis ca. 1,4 Millionen Aktien von RWE besitzt. Eine Verquickung, die es noch unwahrscheinlicher erscheinen lässt, dass ein Landrat „nur“ als Privatperson dem Aufsichtsrat angehört. Schließlich muss man sich die Frage stellen, ob Kühn auch im Aufsichtsrat von RWE gesessen hätte, wenn er nicht Landrat gewesen wäre. Wohl eher nicht.
DesWeiteren ist es nur wenig nachvollziehbar, dass angesichts leerer Kassen in den Kommunen Krankenhäuser, Schwimmbäder, Bibliotheken, Schulen etc. schließen müssen oder notwendige Sanierungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden können, eine einzelne Person aber Anspruch auf eine solche Summe erhebt, mit der man sicher viele sinnvolle Projekte unterstützen könnte. Zudem ist es meinesWissens nach einmalig, dass ein ausgeschiedener Landrat Gelder aus Aufsichtsratstätigkeiten nur unter Vorbehalt in die Kreiskasse einzahlt und diese nach seiner Amtszeit zurück fordert. Andere Aufsichtsratsmitglieder von RWE führen die Gelder, abgesehen von einem geringen Eigenbehalt, anstandslos ab. Man bekommt hier leider den Eindruck, dass für Kühn Eigeninteressen weitaus wichtiger als Gemeinwohlinteressen sind.
Auf die rechtliche Frage möchte ich an dieser Stelle überhaupt nicht eingehen. Die Prüfung dieser obliegt anderen Instanzen und ich möchte mir nicht anmaßen hier ein Urteil zu fällen. Dennoch, auch wenn der ehemalige Landrat Kühn formal im Recht sein sollte, so hat dieser ganze Fall doch einen sehr bitteren Beigeschmack, der sicher bei der Bevölkerung hängen bleiben wird und nicht gerade ein positives Bild von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern zeichnet. Hier kann durch eine Person viel Vertrauen verspielt werden und man muss sich nicht über Politikverdrossenheit und geringeWahlbeteiligungen wundern.
Mit dem Auftrag als Mandatsträger gehen eine Vorbildrolle und eine Verantwortung einher, welche auch nicht am letzten Tag der Amtszeit enden dürfen. Ich bitte Sie daher, Ihre Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen und unter prioritärer Berücksichtigung desWohles aller Menschen im Rhein-Sieg-Kreis zu treffen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Alexander S. Neu